8. - 22. November 1953 in Leipzig
| Nachgekramt und fündig geworden |
Nur schwer kann man sich einen Raum vorstellen, der würdiger gewesen wäre, ein Schachturnier wie die vom 8. bis 22. November durchgeführte Deutsche Schachmeisterschaft 1953 aufzunehmen, als der gewaltige historische Saal im Alten Rathaus der Messestadt Leipzig. Aus allen Teilen Deutschlands waren Spieler angereist, nicht allein, um im sportlichen Wettstreit aus ihren Reihen den neuen Deutschlandmeister zu ermitteln, sondern mehr noch mit dem hohen Ziel, durch die Teilnahme am Turnier mit dazu beizutragen, die Einheit im deutschen Sport zu festigen und darüber hinaus den Willen zur Einheit Deutschlands zu bekunden. In diesen Novembertagen ahnte aber noch keiner, daß es für lange Zeit die letze gesamtdeutsche Meisterschaft bleiben sollte.
30 Spieler (17 aus Westdeutschland, 11 aus der DDR und zwei aus dem Saarland, das in diesem Jahr erstmalig mit dabei war) saßen 13 Tage lang in diesem von einem Hauch mittelalterlicher Romantik durchwehten Raum, dicht umlagert von einer an Zahl alle Erwartungen übertreffenden Zuschauermenge, die das Kampfgeschehen Tag für Tag mit größter Aufmerksamkeit und wachsender Anteilnahme verfolgte.
|
Vordere Reihe von links nach rechts: Fuchs, Hönlinger, Brüchner, Dr. Herrmann, Budrich, Grübner (Org.-Komitee); hintere Reihe von links nach rehts: Lorson, Koch, Krause, Ahues, Platz, Benkner, Maier, Maicherczyk, Kuppe, Unzicker, Schmitt, Eisinger, Wiese, Sänger, Kübart, Mandel | |
Wolfgang Unzicker erinnert sich: "Die Deutsche Meisterschaft in Leipzig im Herbst 1953 ... wurde in einem sehr schönen Saal ausgetragen. Bei der Eröffnungsfeier hielt der damalige Präsident des Schachverbandes der DDR, Professor Klaus, eine würdige und politisch sehr moderate Rede." Das Turnier wurde in 13 Runden nach dem Schweizer System ausgefochten.
Schon nach wenigen Runden hatte der Favorit Unzicker die Führung an sich gebracht. Aber wer da glaubte, der sieggewohnte Münchener werde nun unaufhaltsam durchs Ziel gehen, wurde bald eines Besseren belehrt. Unzicker selbst: "Ich begann gut mit 4 aus 4, fiel aber in der zweiten Hälfte durch Niederlagen gegen Niephaus und Fuchs zurück." Mit dieser Glanzleistung konnte der junge DDR-Meister Fuchs sogar die Führung im Turnier übernehmen; seine große Chance war gekommen. Sie zerrann ihm in den letzten vier Runden unter den Fingern wie Sand am Meer.
Wolfgang Unzicker gelangte wieder an die Spitze und hielt diesen Platz bis zum Turnierschluß, wenn auch stets in Begleitung. "Der aus Breslau stammende Meister Ludwig Schmitt, der sich nach dem Krieg in Augsburg niedergelassen hatte, holte mich ein, so daß er mit mir vor der letzten Runde punktgleich war."
Beide gewannen ihre letzte Partie (Unzicker gegen Hoenlinger und Schmitt gegen Uhlmann). Den im Januar 1954 durchgeführten Stichkampf gegen Ludwig Schmitt konnte Wolfgang Unzicker dann mit 3,5:0,5 für sich entscheiden.
Dicht auf hinter den beiden Spitzenreitern konnte B. Koch als bester Spieler unter den Teilnehmern aus der DDR einen ehrenvollen dritten Platz belegen, während sich W. Uhlmann mit dem undankbaren vierten Platz begnügen mußte.
Quelle: Festbroschüre zum 125. Gründungsjubiläum des DSB (2002) und Zeitschrift Schach 24/1953
|
Roger & Renate Rössing, Deutsche Fotothek |
Rudolf Kraus (Weilheim) und Ludwig Rellstab (Hamburg) am 7. November | |
| Tabelle |
|
Wolfgang Unzicker | München | 9,0 | Ludwig Schmitt | Augsburg | 9,0 | Berthold Koch | Berlin | 8,5 | Wolfgang Uhlmann | Dresden | 8,0 | Dr. Ludwig Herrmann | Dresden | 8,0 | Ludwig Rellstab | Hamburg | 8,0 | Carl Ahues | Hamburg | 8,0 | Walter Niephaus | Düsseldorf | 7,5 | G. Maier | München | 7,5 | Rudolf Kraus | Weilheim | 7,5 | Baldur Hönlinger | Wuppertal | 7,0 | Hans Platz | Hennigsdorf | 7,0 | Reinhart Fuchs | Berlin | 7,0 | Otto Benkner | Saarbrücken | 6,5 | G. Maicherczyk | Hamburg | 6,5 | Edmund Budrich | Berlin | 6,5 | Walter Mandel | Berlin | 6,5 | F. Sänger | Kassel | 6,5 | H. Herrmann | Herne | 6,5 | A. Zirngibl | Saalfeld | 6,0 | Max Eisinger | Karlsruhe | 5,5 | Kl.-P. Wiese | Stuttgart | 5,5 | S. Brüchner | Berlin | 5,5 | G. Lorson | Differten | 5,5 | Kurt Krause | Leipzig | 5,5 | Erich Kübart | Leipzig | 5,0 | A. Kohler | München | 4,5 | W. Kuppe | Frankfurt/Main | 4,5 | H. Hoffmann | Rostock | 4,0 | Schlieder/Stelzner | | 4,0 |
|
Den Schachfreunden der DDR ist L. Schmitt gut bekannt von der letzten Deutschen Meisterschaft. Dort teilte er mit Unzicker den 1.-2. Platz. Im Stichkampf siegte Unzicker und gewann damit den Titel und den von W. Ulbricht gestifteten wertvollen Preis.
Seither fanden keine Deutschen Meisterschaften mehr statt, sondern lediglich Meisterschaften der Deutschen Demokratischen Republik auf der einen und Meisterschaften der Deutschen Bundesrepublik auf der anderen Seite. Wie lange noch?
Quelle: SCHACH 17/1956, 1. Septemberheft, S.272