Die Chess Classic haben dazu beigetragen, Chess960 populär zu machen. Zum sechsten Mal wird in der Mainzer Rheingoldhalle ein großes Open ausgetragen, bei dem die Weltelite teilnimmt. Wie nicht anders zu erwarten, setzen sich auch in dieser Schachart die routinierten Großmeister durch, obwohl die Profis nicht auf ihr theoretisches Eröffnungswissen zurückgreifen können. Denn vor jeder Partie wird die Position der Figuren auf der ersten Reihe ausgelost. Insgesamt können 960 verschiedene Grundaufstellungen entstehen.
Der alte ist der neue Weltmeister
Gestern abend kam es zwischen Anand und Aronian zum Showdown um den Titel.
Levon Aronian beweist seine Extraklasse im Chess960
Auch der im Moment weltbeste Schachspieler Vishy Anand konnte den amtierenden Chess960 Champion Levon Aronian nicht entthronen. Kurz vor Mitternacht hatte der Armenier in der Mainzer Rheingoldhalle seinen FiNet Chess960 World Championship Titel in einem dramatischen Match erfolgreich verteidigt.
Die zunächst angesetzten vier Partien reichten nicht aus, um eine Entscheidung zwischen den beiden Ausnahmespielern herbeizuführen. In der ersten Partie unterlief Anand, der gemeinhin als der schnellste Spieler der Welt gilt, ein außergewöhnliches Missgeschick. Jeder Spieler hat 20 Minuten pro Partie zur Verfügung und erhält für jeden Zug eine Gutschrift von 5 Sekunden. Damit sollte eine Zeitüberschreitung ausgeschlossen sein. Doch Anand war so in seine Stellung vertieft, dass er die Uhr vergaß. Das Publikum hielt den Atem an, als Anand mit noch wenigen verbleibenden Sekunden seine Figur anfasste und einen Augenblick verharrte. Just in dem Moment, als er den Zug ausgeführt und die Uhr gedrückt hatte, war seine Zeit abgelaufen und Aronian reklamierte den Gewinn. In seiner 20-jährigen Karriere ist dies dem Inder erst ein einziges Mal passiert: gegen Kamsky im Kandidatenfinale 1995 in Las Palmas. Dabei hatte er eine aussichtsreiche Stellung erreicht und lange einen Zeitvorteil gegenüber Aronian behaupten können.
In der zweiten Partie baute Anand mit den weißen Steinen erneut eine Druckstellung auf. Seine Vorteile verflüchtigten sich jedoch mehr und mehr, als die Stellung im Endspiel weitgehend zugeschoben war.
In der dritten Runde sahen die zahlreichen Zuschauer eine kuriose Partie. Aronian erspielte sich große Vorteile und es schien, als könne er vorzeitig die Entscheidung in diesem Zweikampf herbeiführen. Mehrfach ließ der Armenier klare Gewinnfortsetzungen aus, vielleicht auch weil er sich in Zeitnot befand. Schließlich gelang es dem findigen Inder, wie mit Zauberhand aus seiner prekären Lage zu entweichen und die Punkteteilung sicher zu stellen.
Die vierte Partie begann erneut furios. Nach nur vier Zügen opferte Aronian einen Bauern, um mit einem Damenschach Anands König nach d2 zu treiben. Anand gelang es jedoch in der Folge, den schwarzen König zu belagern und den schwarzfeldrigen Läufer Aronians auszusperren. Aronian baute seinerseits seine Initiative am Damenflügel aus und verpasste an einer Stelle das Remis. Schließlich griff er in komplizierter Stellung fehl und Anand glich das Match auf der Schlussgeraden aus. Die Entscheidung mussten nun zwei Blitzpartien im Tiebreak herbeiführen. Die Kraftanstrengung der letzten Partie ging an Anand offenbar nicht spurlos vorbei, denn durch einen Konzentrationsfehler gewann Aronian die Qualität und kurz darauf die Partie. Die letzte Blitzpartie verflachte recht schnell, da Anand voreilig das Zentrum verriegelte. Um 23:30 stand endlich der Sieger fest. Levon Aronian hatte seinen Titel erfolgreich verteidigt.
Den dritten Rang belegte Etienne Bacrot, der seinen Kontrahenten Rustam Kasimdzhanov mit 3-1 bezwang. Nachdem der Franzose an den ersten beiden Tagen des Turniers glücklos agierte, entschloss er sich, am Chess960 Open teilzunehmen. Ich brauche Praxis, sagte er, und sah kein Problem in der selbstaufgebürdeten Doppelbelastung. Seine Strategie zahlte sich aus. Am Abend zeigte er eine überzeugende Leistung. Vielleicht gelingt ihm das Kunststück des Vorjahres, als er das bärenstark besetzte FiNet Open für sich entscheiden konnte. Dann gäbe es im nächsten Jahr ein Wiedersehen mit dem Franzosen, denn der erste Platz berechtigt zur Teilnehme an der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr.
Vishy wird nun die kommenden drei Tage in der GrenkeLeasing Rapid World Championship alles daran setzen, seinen Schnellschachtitel zu verteidigen. Der Inder, der seit Jahren als der beste Schnellschachspieler der Welt gilt, könnte seine Spezialdisziplin zum insgesamt zehnten Mal gewinnen.
Harry Schaack
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