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Personalien Tagebuch eines Blindsimulanten (4 und Schluss)
Personalien

17.11.2011

Unseren "Blindsimulanten" Marc Lang knapp zwei Wochen vor seinem Weltrekordversuch noch zu einem Tagebuch zu bewegen, war fast unmöglich. Vormittags ist er täglich mit dem Fahrrad unterwegs, um sich physisch den letzten Schliff zu holen.

"Wenn es geht, dann sind es ca. 50 Kilometer im Schnitt, aber bei Nebel und Kälte wird das schon zur Tortur. Die ersten 15 Minuten möchte ich am liebsten absteigen, so friere ich. Aber wenn der Körper erst einmal in Tritt ist, dann kommt die Wärme von innen..."

Kaum vorstellbar, aber ein halbes Jahr seines Berufslebens hat Marc für diese spektakuläre Veranstaltung geopfert hat und dazu ist noch viel liegen geblieben. Es ist ja nicht nur die gezielte Vorbereitung auf dieser Weltrekord - den er nach nunmehr 64 Jahren (sehr symbolisch) endlich Miguel Najdorf entreißen will, der es bisher auf 45 Partien brachte - die viel Kraft gekostet hat. Auch das Rahmenprogramm, muss ja auch stehen.


Mit dem sensationellen gestrigen Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Armenien wurde so ganz nebenbei auch unsere Veranstaltung geadelt: Hatten wir bisher mit Jan Gustafsson nur einen völlig normalen, quasi dahergelaufenen Schachgroßmeister für das Rahmenprogramm engagiert, ist er nun mit einem Schlag zu einem "Mannschaftseuropameister" mutiert. Das sieht in den Medien natürlich gleich viel besser aus, könnte im Gegenzug allerdings auch den Respekt der Amateure ins Unermessliche steigern und damit ihre Chancen verringern. Ein bedrohlicher Umstand für mein Portemonnaie, denn ich habe zahlreiche Wetten laufen, dass Jan weniger als 6 aus 8 holt...

Doch damit nicht genug: Für den symbolischen ersten Zug konnte unser Hauptsponsor den legendären Speerwurf-Olympiasieger von München 1972, Klaus Wolfermann gewinnen. Wolfermann schlug in einem dramatischen Finale damals den Letten Janis Lusis, der im Vorfeld als unschlagbar gegolten hatte, im letzten Wurf um die sprichwörtliche Haaresbreite, indem er genau zwei Zentimeter weiter warf als sein Kontrahent...

Seit dem 1. November steht übrigens das Teilnehmerfeld des Blindsimultan-Weltrekordversuches endgültig fest. Ich denke, es ist so gut gemischt wie ein normales Simultanfeld eben und hat sowohl nach oben, wo der ehemalige Ditzinger Oberligaspieler Gabriel Gritsch mit Elo 2138 das Feld klar anführt, als auch nach unten (einige Spieler sind nicht in Vereinen aktiv und/oder haben keine oder noch keine DWZ) normale Ausreißer. Schnittberechnungen sind etwas schwierig, zum einen, weil einige DWZ-lose durchaus kräftig sind, weil sie hauptsächlich im Internet oder ihrer Firma spielen, zum anderen, weil an manchen Brettern Teams antreten. Ein grober Überschlag ergab jedenfalls eine Durchschnitts-DWZ von ca. 1500, was um ca. 100 Punkte über dem Schnitt vom Vorjahr beim Europarekord liegt (damals lag er bei 1403). Und das bei elf Brettern mehr...schluck. Ich hätte das mit der Spielstärkenbegrenzung auf 1750 vielleicht doch etwas nachdrücklicher verfolgen sollen. Aber Bangemachen gilt nicht, und ich werde mein Beste geben. Hauptsache ist doch, dass mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt...

In diesem Zusammenhang werde ich natürlich oft gefragt, wie es möglich ist, sich eine so große Anzahl gleichzeitig laufender Schachpartien zu merken. So oft, dass ich mir eigentlich schon längst eine besonders schlaue Antwort darauf hätte bereitlegen können. Das Problem ist nur: Ich habe keine, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie mein Gehirn was macht und ich bestreite jegliche aktive Mittäterschaft beim Speicherprozess. Es ist vielmehr so, dass ich mir oft nur wie ein Beobachter vorkomme, besonders bei zunehmender Anzahl von Gegnern. Die Anfangsphase einer Blindsimultanvorstellung ist die mit Abstand schwierigste und wenn es dem Einzelspieler gelingt, sie schadlos zu überstehen, hat er schon mehr als die halbe Miete eingefahren (sagt man das so? Klingt irgendwie bescheuert - wer fährt schon Mieten ein? Eher vielleicht Ernten, aber lassen wir das).

Die Problemstellung ist klar: Am Anfang haben alle Bretter dieselbe Grundstellung und selbst wenn man sehr variabel steht, wird es einem bei einem 20+ Simultan kaum gelingen, nach sagen wir fünf Zügen lauter grundverschiedene Positionen zu erreichen. Viele Partien verlaufen gleich oder, was fast noch schlimmer ist, ähnlich. Eine spanische Eröffnung mit dem Zug a7-a6, eine, in der der Gegner auf den vermeintlich unscheinbaren Randbauernzug verzichtet. Ein Damengambit, in dem Schwarz den Springer nach d7 und den Bauern nach c6 stellt, während ein anderer Gegner auf den Bauernzug verzichtet und statt dessen den Springer auf dessen Feld postiert. Kleinigkeiten, mit denen man natürlich klar kommen muss, wenn man gegen viele Gegner blind spielen will. Aber in der Phase bis ca. Zug 10 sind die Bretter noch nicht "eingerastet", sind viele Positionen noch "vernebelt" und man muss die Partien oft noch einmal ganz von Anfang im Kopf nachspielen, um den aktuellen Stand zu reproduzieren. Und genau dabei können Kleinigkeiten wie die Frage: "Hat er nun den Randbauern gezogen oder war das in der anderen Partie?" oder "Hat er schon rochiert oder sieht es nur so aus, als hätte er?" neben der während der ganzen Veranstaltung allgegenwärtigen Masterfrage "Und was zum Henker tue ich hier eigentlich?" bereits frühzeitig zu Verwirrungen und eventuell sogar Verluststellungen führen.

Die Macher von Filmen, in denen ein Supercomputer einen langen Zahlencode Ziffer für Ziffer knacken (meist den Schlüssel für das Kernwaffenarsenal der USA oder ein Fahrradschloss am Bahnhof) könnten ihre Inspiration aus der Eröffnungsphase einer Blindsimultanvorstellung gewonnen haben, denn dort läuft es, wenn auch etwas abstrakter, genauso ab. Nach und nach nimmt die Zahl der Positionen, die man fest abgespeichert hat, ohne jedes Mal den gesamten Partieverlauf ab Zug 1 nachvollziehen zu müssen, stetig zu. Gleichzeitig beginnt sich eine zweite "Ebene" aufzubauen, die bald für den Rest der Veranstaltung als "Parallelwelt" existieren wird. Eine Art "Nebenzimmer", in dem die Schachbretter stehen, auf denen die Partien gespielt werden. Zwischen diesem "Zimmer" und der "Realität" kann ich, sobald alle Bretter dort stehen (also letztlich gespeichert sind), im Idealfall jederzeit während der Blindsimultanvorstellung hin- und herwechseln, ohne dabei die Konzentration zu verlieren. Das hat den Vorteil, dass ich einigermaßen unempfindlich gegen Lärm und sonstige Störungen bin - meistens werden diese aber ohnehin von mir selbst verursacht, weil ich auch während etwas so vermeintlich Seriösem wie einem Blindsimultan mein albernes Mundwerk nicht halten kann.
Es macht mir nichts aus, während einer Vorstellung von einem Gegner oder aus dem Publikum heraus angesprochen zu werden - im Gegenteil, ich nehme immer wieder gerne solche Auszeiten; in diesem Fall verlasse ich eben kurz das "Spielzimmer" und kehre anschließend wieder dorthin zurück. Die Bretter laufen schon nicht weg. Der Vorteil dieser Art des Handlings ist offensichtlich; man spart eine Menge Energie und Konzentration, was immer wichtiger wird, je länger das Simultan dauert.
Darüber hinaus werde ich nach Beendigung des Blindsimultans auch nicht von den "Geistern der Partien" verfolgt, wie viele andere Blindsimulanten berichtet haben. So soll Miguel Najdorf nach seinem Weltrekord 1947 drei Tage lang keinen Schlaf gefunden und Wochen gebraucht haben, um die Partien aus seinem Kopf zu bekommen. Die Tiefe seiner Konzentration während des Rekords muss phänomenal gewesen sein, und das merkt man auch an den hervorragenden Partien, die er dabei gespielt hat. Doch das "Zwei-Zimmer-Modell" hat auch einen Nachteil - da man nicht permanent konzentriert oder besser: fokussiert sein kann, ist der Zugang zu den Partien oft oberflächlich und meine Spielweise ähnelt eher einer Art "Ball-im-Spiel-halten" als einer durchdachten Partieanlage.

Ich gebe übrigens gerne zu, dass mich das Blindsimultan seit meinem ersten Kontakt vor ca. 20 Jahren in einem Café in der Calwer Passage, nahe der Stuttgarter S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte, fasziniert. Dort traf ich mich gerne mit einem Freund und Vereinskameraden, um gemeinsam ein wenig Schach zu spielen oder die neuesten Eröffnungsvarianten zu analysieren. Wir verbrachten viele Wochenenden dort, meist ganz weltvergessen über unsere Züge grübelnd - und meist auch ohne großartig etwas zu trinken. Das wiederum brachte - verständlicherweise - irgendwann den Betreiber gegen uns auf. Er schickte einen Kellner vor, der uns das Schachspielen kurzerhand verbot. Bitter, denn die Atmosphäre in dem Café hatten wir immer als sehr angenehm und inspirierend empfunden, weshalb wir nur sehr ungern woanders hingehen wollten. Aber was sollten wir nun tun?

"Spielen wir eben blind", schlug schließlich einer von uns vor. Gesagt, getan - flugs "bauten" wir ein virtuelles Brett auf und begannen, uns mittels der Koordinaten unsere Züge zu sagen. Das lief wunderbar und ohne Erinnerungsprobleme, so dass es bald schon zu langweilig wurde - warum aber nicht einfach an mehreren Brettern gegeneinander spielen? Gleichzeitig? An zwei Brettern? Ach nein, warum nicht gleich an zehn ? Und so nahmen wir beide fünfmal die weißen, fünfmal die schwarzen Steine und warfen uns gegenseitig für die nächsten rund zehn Stunden Ausdrücke an den Kopf, die für Nicht-Schachspieler zumindest sehr seltsam klingen mussten: "Springer f3-g5!" - "Oh, den habe ich gar nicht gesehen, da muss ich jetzt wohl König g8-h8 spielen" - "Hast Du denn überhaupt schon rochiert?"

Unser beider erstes Blindsimultan zog sich sogar so lange hin, dass wir am Ende des Tages unterbrechen mussten, weil das Café schloss und die letzte Bahn wegzufahren drohte. Also vereinbarten wir einen "Ehrenkodex", demzufolge keiner die noch laufenden Partie zu Hause analysieren durfte und kehrten am nächsten Morgen wieder zurück, um den Wettkampf fertig zu spielen. So weit ich mich erinnere, gewann ich am Ende mit 6,5:3,5, aber das war eher Nebensache. Viel wichtiger war, dass es uns tatsächlich gelungen war, alle zehn Partien bis zum Ende im Kopf zu behalten. Dieser Wettkampf schließlich war die Geburtsstunde meiner Leidenschaft für das Blindsimultanspiel, das ich fortan aber nicht mehr im "virtuellen Raum" in Cafés spielte, sondern in Vereinen gegen reale Gegner. Darüber dürfte der Wirt des Stuttgarter Lokals sehr glücklich gewesen sein....

ZUR PERSON

Marc Lang ist 41 Jahre alt (Jahrgang 1969), verheiratet, lebt in Günzburg und hat zwei Kinder (9 und eineinhalb). Am 27. und 28. November 2010 stellte der selbstständige Programmierer - der Schach seit seinem siebten Lebensjahr spielt und im Verein seit dem zwölften - einen neuen Europarekord im Blindsimultan auf. Der FIDE-Meister vom SV Sontheim/Brenz mit einer aktuellen Elo-Zahl von 2306 erzielte dabei an 35 Brettern 19 Siege, 13 Remis bei nur 3 Niederlagen. Wer noch mehr über Marc Lang wissen möchte, der findet diese Zusatzinfos hier.

Tagebuch Teil 1
Tagebuch Teil 2
Tagebuch Teil 3
Pressekonferenz zum Weltrekord im Blindsimultan

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Veröffentlicht von Raymund Stolze



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