Frank Schneider und Kai Skibbe, die das Programm Anaconda und die Benutzeroberfläche für Taschencomputer "PocketGrandmaster" vertreiben, beantworten die Fragen. Mark Vogelgesang, stellvertretender Vorsitzender der Chess Tigers, die die CCM organisieren, hat sich mit den beiden Autoren unterhalten.
Frage: Was war eure Motivation, Anaconda Chess960 beizubringen? Wie groß ist der Aufwand?
Schneider: Motivation war die Einladung zum Turnier in Mainz 2005. Der Aufwand war dann doch größer als erwartet. Die besonderen Rochaden machen einige Annahmen ungültig, die bei normalem Schach vom Programm vorausgesetzt werden konnten, dadurch musste einiges umgeschrieben werden. Außerdem gab es keinen einheitlichen FEN-/PGN-Standard. So betrug der Aufwand für einen Mann gut eine Woche.
Frage: Welche besonderen Stärken bietet Anaconda in technischer und taktischer Hinsicht? Schneider: Nun ja, heutzutage nicht mehr allzu viele, in den letzten drei Jahren, in denen wir uns mehr auf die PocketGrandmaster-Benutzeroberfläche konzentriert haben, ist ja gerade im Bereich der kostenlosen Engines sehr, sehr viel passiert. Für uns ist es natürlich sehr schön, dass wir so mit Toga und Fruit zwei tolle Engines auch für PocketGrandmaster zur Verfügung stellen können. Skibbe: Ich denke, dass Anaconda bei manchen sehr figurenarmen Endspielen (zum Beispiel falscher Läufer und Randbauer) einige Stärken hat. Auch bei Dauerschach-Motiven und manchen Königsangriff-Stellungen kann Anaconda glänzen. Ansonsten fallen aber wirklich nicht mehr sehr viele Stärken gegenüber der erstarkten Konkurrenz auf.
Frage: Wie sieht eure Vorbereitung auf die WM in Mainz aus? Wie schlägt sich Anaconda im Chess960 bislang in Test-Duellen? Schneider: Es spielt jetzt regelgerecht (grinst). Skibbe: Bisher haben wir noch nicht so viele Testmatches gemacht. Die ersten Matches waren erst einmal dazu da, um festzustellen, ob der Zuggenerator jetzt einwandfrei funktioniert. Bisher gab es ein paar Testspiele gegen Shredder Classic. Da sah es eigentlich wie erwartet aus, so dass ich nicht denke, dass Anaconda960 bei Chess960 viel schlechter als im normalen Schach abschneidet.
Frage: Wird es Anaconda960 nach der WM auch für die Öffentlichkeit geben? Schneider: Ja, ich denke schon. Skibbe: Ja, kann ich mir auch vorstellen.
Frage: Welches Programm ist für euch der Turnierfavorit, welches euer Geheimtipp? Vas Rajlich und Rybka können ja in diesem Jahr leider nicht mit dabei sein, da Vas ausgerechnet während der Chess Classic vor den Traualtar tritt. Wir werden also erst im nächsten Jahr sehen können, was Rybka ohne Eröffnungsbuch leistet.
Schneider: In Abwesenheit von Rybka einen klaren Favoriten zu benennen, ist schwierig. Geheimtipp ist für mich Loop List. Skibbe: Da Rybka ja leider nicht mit dabei ist, ist für mich Shredder der Favorit. Spike trau ich zwar auch wieder viel zu, aber Shredder schätze ich stärker ein. Von Loop List hört man sehr viel Gutes, so dass das ein Geheimfavorit für mich wäre.
Frage: Was macht ihr beruflich? Schneider: Abi, Studium Informatik in Marburg und RWTH Aachen, Diplom, ein Jahr Promotionsstelle an der RWTH, seit 6 Jahren Softwareentwicklung im Bereich Logistik mit Schwerpunkt Optimierungsalgorithmen. Nebenberuflich GbR mit Kai zum Vertrieb von PocketGrandmaster, den wir seit Mitte 2001 entwickeln und seit Ende 2001 verkaufen. Skibbe: Abi, 6 Jahre Bundeswehr, Studium Softwaretechnik an der FH Hamburg mit Abschluss Dipl. Informatiker (FH). Danach 3,5 Jahre als Software-Entwickler im Bereich Krankenhaus-Software tätig und anschließend jetzt seit 5 Jahren bei einem IT-Dienstleister als Software-Entwickler im Bereich Finanz-Software.
Frage: Welche Unterschiede habt Ihr festgestellt zwischen traditionellem Schach und Chess960? Skibbe: Von meinem Gefühl her denke ich, dass es sehr viel auf gute Figuren-Entwicklung und gute Kenntnisse von Bauernstrukturen ankommt. Ohne Eröffnungsbuch ist die Engine eben sehr früh auf sich selber gestellt und sollte sich vernünftig entwickeln.
Frage: Warum habt Ihr euch entschlossen, in Mainz mitzumachen?
Schneider: Weil es nach einem sehr gut organisierten Turnier klingt und es letztes Jahr leider nicht geklappt hatte. Skibbe: Das Turnier passt gut in meine Urlaubszeit, ist gut besetzt und organisiert und mich interessiert, was Anaconda960 , im Chess960 aufs Brett zaubert gegen starke Konkurrenz. Außerdem ist es nett, mal wieder die ganzen anderen Programmierer zu sehen.
Frage: Spielt ihr selbst Schach? Schneider: Etwa 10 Turnierpartien in den letzten 15 Jahren, vorher spielte ich 3 Jahre regelmäßig im Verein. Meine beste Deutsche Wertungszahl lag damals bei 1950. Mit Computerschach habe ich schon als 16-Jähriger auf einem C64 angefangen, weil mich das Thema begeistert hat. Später ging es dann mit einem Amiga und dann PCs weiter. Schachprogrammierung diente bei mir oft dazu, etwas Neues zu lernen, zum Beispiel Assembler, dann C, dann C++ oder Windows-Programmierung. Skibbe: Ich spiele seit rund 20 Jahren nicht mehr aktiv. Nach meinen Abi habe ich aufgehört. Mein Computerschach begann mit etwa 12 Jahren, als ich bei Karstadt diese "Dinger" entdeckte. Mein erster Schach-Computer war ein Chess Champion Super System III. Danach folgten dann Fidelity und Mephisto Geräte und ab 1990 dann das PC-Schach.
Frage: Hat der Mensch im Kampf gegen den Computer im Chess960 einen Vorteil, weil das Eröffnungsbuch wegfällt? Oder einen Nachteil, weil von Anfang an gerechnet werden muss? Schneider: Ich würde vermuten, dass der Mensch einen Nachteil hat, weil die meisten Stärken des Computers noch voll greifen, während menschliche Erfahrung beim Chess960 vielleicht weniger wert ist. Skibbe: Ich denke auch, dass der Mensch einen Nachteil hat. Für mich als Mensch sehen manche Chess960-Stellungen schon sehr ungewohnt aus. Vielleicht kann ein Großmeister da besser irgendwelche bekannten Muster wiedererkennen, aber ein normaler Spieler dürfte auch taktisch recht schnell Patzer machen, weil er intuitiv die Figuren an anderen Stellen "erwartet". Gerade in der Eröffnungsphase dürfte das zutreffen.
Frage: Im Rahmen der Chess Classic Mainz 2006 finden außer der Chess960 Computer-Weltmeisterschaft zwei Schaukämpfe "Mensch gegen Maschine" statt. Der amtierende Chess960-Weltmeister der Menschen, Peter Swidler, tritt gegen Spike an. Jungstar Teimour Radjabow misst sich mit Shredder. Welche Ergebnisse erwartet ihr? Im letzten Jahr kam es fast zu einer Sensation, als Zoltan Almasi gegen Shredder in Zeitnot den Gewinnzug nicht fand, und Peter Svidler das starke Amateur-Programm The Baron klar mit 1,5:0,5 bezwang. Schneider: Da kann ich, ehrlich gesagt, nur raten mein Tipp als Programmentwickler lautet solidarisch, dass die Programme knapp gewinnen werden. Skibbe: Ich würde auf die Computer setzen. Ich denke immer noch, dass der Mensch in den ungewohnten Chess960-Stellungen nicht so sehr seine gewohnte Spielweise entfalten kann und eher zu Fehlern neigt. Vielleicht denke ich da als Schach-Laie aber auch zu einfach und unterschätze die Großmeister. Trotzdem sage ich knapper Sieg für die Computer, also 1,5:0,5.
Frage: Beabsichtigt ihr auch PocketGrandmaster Chess960-fähig zu machen? Schneider: Das hängt von der Nachfrage ab. Bisher haben Kunden den Wunsch nach Chess960-Fähigkeit nicht geäußert, aber es könnte ein Feature sein, das die Konkurrenz nicht hat. Für den Benutzer wäre es aber unschön, wenn nicht alle Engines, die unter PocketGrandmaster laufen, Chess960 unterstützen.
Frage: Was interessiert euch persönlich am Chess960? Schneider: Es interessiert mich, weil es Leben ins Schach bringt. Skibbe: Endlich ist das Buch mal nicht wichtig, und die Engine kann zeigen, was sie selber mit der Stellung anfangen kann. Wenn man gegen Profis öfter mal aus dem Buch heraus verloren hat, dann weiß man so etwas zu schätzen.
Frage: Warum war für euch die Chess960-WM interessanter als die WM im traditionellen Computerschach in Turin?
Schneider: Weil die Teilnahme einfacher zu organisieren ist, und weil es nicht traditionelles Schach ist. In Turin mit einer nicht konkurrenzfähigen Version teilzunehmen, hätte keinen Sinn gemacht. Skibbe: Die normale Computer-WM hätte viel mehr Geld und Zeit beansprucht und ließ sich zumindest bei mir wegen der Arbeit nicht machen.
Frage: Sicher nicht ganz einfach, Computerschach auf diesem Niveau und eine anspruchsvolle Tätigkeit in der IT-Branche miteinander zu verbinden. Das verlangt wohl auch die Fähigkeit, mit vielen verschiedene Prioritäten zu jonglieren. Angeblich hat einer von euch ganz besondere Fähigkeiten in diesem Bereich.
Schneider: Meine Fähigkeiten als Jongleur, aha. Tja, das mache ich auch schon seit längerem nicht mehr und habe es nie professionell gemacht. Während der Studienzeit habe ich einige Jahre intensiv in der Hochschulgruppe jongliert und war auch eine Weile Obmann. Damals hatte ich mich ziemlich auf Bälle und Ringe konzentriert, vor allem auf "numbers juggling" (d.h. möglichst viele Bälle möglichst lange in der Luft zu halten). Bis auf Computerschach werden bei mir Hobbys meist nach drei Jahren durch neue Hobbys ersetzt. Momentan findet gerade der Übergang von Rennrad zu "was weiß ich" statt. Vorschläge für "zu was weiß ich" sind immer willkommen. Bezüglich meiner sonstigen Informationen ist vielleicht noch ein Wettbewerb interessant, in dem ich meine Computerschach-Erfahrungen nutzen konnte: http://www-i2.informatik.rwth-aachen.de/Events/TdI1997/wormworld/ Allerdings habe ich von dem Spiel Wormworld seit dem Wettbewerb nichts mehr gehört ...
Teilnehmerliste bei der 2. Livingston Chess960 Computer-Weltmeisterschaft (15. und 16. August, jeweils ab 10 Uhr) in der Mainzer Rheingoldhalle 1. Volker Böhm / Ralf Schäfer Spike Titelverteidiger 2. Volker Annuss Hermann 3. Richard Pijl The Baron 4. Tord Romstead Glaurung 5. Fritz Reul Loop List 6. Roland Pfister Patzer 7. Johannes Zwanzger Jonny 8. Stefan Meyer-Kahlen Shredder Rekord-Weltmeister 9. Daniel Mehrmann Homer 10. Jaime Benito Ayito 11. Alexander Naumov Naumchess 12. Gian-Carlo Pascutto Deep Sjeng 13. Kai Skibbe / Frank Schneider Anaconda 14. Muntsin Kolss Ikarus 15. T. Vijlbrief / H. Secelle ANT960 16. Tony Roon-Werten Xinix 17. A. Mikilas / C. Boussios Aice 18. Franck Zibi Pharaon 19. Rudolf Huber ParSOS 20. Engin Üstün Tornado
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