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Ausbildung Sozialpsychologische Betreuung am Schachbrett?!
Ausbildung

28.11.2005

Interview mit der Sozialpsychologin PD Dr. Marion Kauke

Ernst Bedau, der Bundesrechtsberater des deutschen Schachbundes, führte neulich folgendes Interview zu einem Thema, dass offensichtlich immer größere Bedeutung gewinnt.
   
Frau Dr. Kauke, Sie haben auf Einladung des Bundestrainers mit Frauen und Männern des A-Kaders ein Psycho-Coaching durchgeführt. Was versteht man unter einem Psycho-Coaching?

Psycho-Coaching ist die Begegnung des Sozialpsychologen mit dem einzelnen Sportler trainingsbegleitend durch das individuelle Gespräch. Statt einer Beziehung zwischen Boss und Patienten wird partnerschaftliches Verständnis und Respekt füreinander aufgebaut. Beide Seiten versichern sich, ihren Austausch vertraulich zu behandeln.

Coach und Coachee arbeiten zusammen in einem Erkenntnisprozess, durch den sie einander befähigen, die psychische Welt bzw. den „inneren Weltraum“ tiefgründig zu verstehen. Beweggründe für die persönliche Entwicklung werden einsichtig. Der Coach kann als Fachkraft die psychische Lage professionell analysieren, Leistungsreserven aufspüren und näherungsweise maßgeschneidert die passende Idee („Dreh“) finden helfen. Diese Tricks sind nichts anderes als erkannte psychologische Gesetzmäßigkeiten. Je nach Befindlichkeit wird die eine oder andere psycho-regulative Methode empfehlenswert sein.

Also kann der Sportler auf sich gestellt, autodidaktisch, nicht die bestmögliche Performance erreichen?

Natürlich drängt sich bei allen trainingsbegleitenden Maßnahmen die Überlegung auf, inwieweit aktive Helfer im Sport wie Trainer, Psychologen, Ärzte, Betreuer etc. den individuellen Leistungsaufbau unterstützen können. Sicher ist die Frage nicht pauschal zu beantworten. Die führende Hand des Trainers sowohl bei Einzel- und besonders bei Mannschaftswettbewerben ist unbestritten. Vor allem wird die ärztliche Hilfe bei den körperbetonten Sportarten notwendig sein. Wenn es vorwiegend um geistige Prozesse wie im Schachsport mit kompetitiven (psychischer Kampf) bzw. kooperativen Anforderungen (Mannschaftsklima, Teamgeist etc.) geht, ist zunehmend die Expertise von Psychologen gefragt.

PsychologischesRollenspiel.jpg

Psychologisches Rollenspiel während der Ausbildung in der FIDE-Akademie
Wo setzt jetzt der Psychologe an? Schließlich will ja auch der Schachspieler, wie jeder Sportler, Höchstleistung erzielen, im Schachsport also siegen.
 
Siegen beginnt im Kopf und Gemüt. Jedes ungute Gefühl, Zweifel an sich selbst, oder mangelnde Einstellung auf den Wettkampf untergräbt die schachliche Performance. Man ist nicht in Form und verpasst, sein wahres Leistungsvermögen auszuspielen. Deshalb ist zusammen mit dem schachspezifischen Training mentale Vorbereitung unter Anleitung eines erfahrenen Sozialpsychologen (Coach) leistungsförderlich. Was in den Körpersportarten, vor allem im modernen Hochleistungsport praktiziert wird, ist für Schachturniere als Kampf der Hirne, Nerven und Charaktere eminent bedeutsam. Psychische Komponenten zählen zu den maßgeblichen Leistungskomponenten im Schachsport. Auch sie müssen ähnlich wie physische Kondition, Schnelligkeit, Koordination, Beweglichkeit und Ausdauer durch Training eingeübt, gefestigt und mancher Stereotyp muss verändert werden. Die Spieler sollen durch Mentaltraining lernen, ihre Aktivierungs- und Regenerierungsphasen im Training und Wettkampf selbst herbeizuführen. Fit sein für den Erfolg durch Steigerung (nicht der Belastung, sondern) der Belastbarkeit!

Wie muss man sich jetzt konkret ihre Arbeit mit den Schachmeisterinnen und Schachmeistern vorstellen?
 
Nach einem sportpsychologischen Einführungsvortrag werden die Spitzenspieler- und Spielerinnen in der zukünftigen Olympiastadt Dresden im Autogenen Training (AT) unterwiesen: "Ich bin ganz ruhig, Arme und Beine sind schwer und warm. Es atmet mich." Diese Art der Selbsthypnose, die von Johannes Heinrich Schultz 1956 in seiner Praxis auf dem "Weißen Hirsch" in Dresden aus den Begleitphänomenen klassischer Hypnosebehandlung entdeckt wurde, gibt Sportlern die Möglichkeit, ihr seelisches Gleichgewicht selbst wirksam einzutarieren. Es hilft, die nötige Konzentrationsausdauer aufzubringen, das Vorstartfieber zu bezwingen, in kritischen Phasen des Wettkampfs Gleichmut zu wahren und die Willenskräfte vorsätzlich anzuspannen.

Ist jede Persönlichkeit der Methode der Hypnose zugänglich oder bedarf es dazu besonderer Voraussetzungen? Wenn ja welcher? Kann man in etwa sagen, wie viel Prozent der Menschen sich mit Hypnose behandeln lassen. Dazu dann auch die ergänzende Frage:
Wie lange dauert es etwa, bis Menschen mit der Methode der Selbsthypnose arbeiten können? Wie lange brauchen sie, um dies zu erlernen (sicherlich unterschiedlich, aber was kann man dazu sagen)?


Auf Ihre "lange" Frage eine ausführliche Antwort! Schachspieler berichteten häufig über das Phänomen, dass der Gegner sie mit seiner Ausstrahlung hypnotisiert hätte, sie wären wie gelähmt, hysterisch, eingeschüchtert und keines vernünftigen Gedanken mehr fähig gewesen. Dämonische Kräfte werden Alexander Aljechin, Robert Fischer zugeschrieben. Michael Tal hieß der "Zauberer von Riga" bis hin zu parapsychologischen Einflüssen (secret geheimnisvolle Strahlen) eines Professor Suchar und des Napoleon-Charismas eines Garry Kasparow.  

Hypnotisiert wie das Kaninchen vor der Schlange, so könnte man sich auch die Beeinflussung durch einen "Angstgegner" vorstellen. Die Anfälligkeit nach Niederlagen ließ manchen verzweifelten Spieler irrationale Einflüsse vermuten.  Vom umgekehrten Phänomen, dass ein guter Trainer, Freund, und die Fangemeinde "Flügel" verleihen können, künden Hypnose-Experimente mit durchschnittlichen Spielern, die nach hypnotischen Zusprüchen, für immer stärker spielten. Laskers Gemahlin Martha musste hinter dem legendären Weltmeister am Brett stehen, damit er frank und frei sein Genie ausspielen konnte. Die Frau als "Heimvorteil!?

Hypnotische Wirkungen spüren wir auch im Alltag, wenn uns eine Person, ein Film ein Erlebnis, eine Rede oder Werbebotschaft besonders beeindrucken. Unterschwellig, bevor wir es bewusst wahrnehmen, ist das Faszinosum besonders wirksam. Wem es gelingt, sich in einer Schachpartie so zu konzentrieren, dass er dies um sich herum nicht mehr wahrnimmt, ist prädestiniert für Hypnose. Prüfen Sie Ihre Suggestibilität, indem Sie sich eine saure Zitrone vorstellen. Tropft der Speichel? Dann sind sie für Hypnose besonders anfällig, schmerzsensibel und auch durch Hypnose heilbar.

Unter Hypnose versteht man die Lenkbarkeit der psycho-physischen Reaktionen und Phantasien des Menschen durch Suggestion in einer speziellen Seance ursprünglich fremd und zunehmend selbst herbeigeführt. Schätzungsweise sprechen 10-20% der Menschen besonders gut auf Hypnose an, rund 70-80% lassen sich hinreichend hypnotisieren evtl. durch Übung, die restlichen 10% sind dafür unempfänglich. Allerdings können sich nur 5-10% der Menschen später nicht spontan an die Hypnose erinnern. Neuere Forschungen ergaben, dass bei leicht hypnotisierbaren Menschen paradoxerweise nicht nur eine hohe psychische Ich-Stärke, emotionale Instabilität (Neurose), sondern auch eine anatomische Besonderheit vorliegt.

Ihr "corpus callosum", die Brücke zwischen beiden Gehirnhälften, quasi die Datenbahn für Nervenimpulse, ist mächtiger ausgeprägt als bei anderen Menschen. Ein spezieller Teil des Balkens, das Rostrum, ist besonders aktiv. Bei mangelnder Hypnotisierbarkeit können hirnorganische Störungen, das "Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Syndrom" (ADHS), Intoxikationen (Alkohol), stärkere affektive Störungen (z.B. schwere Depressionen) oder fehlendes Vertrauen zum Hypnotiseur vorliegen.   

Unterscheidbar sind drei Phasen oder Tiefen der Hypnose, nämlich 1. Ekstatische Trance, die Tanzende in einer Diskothek erleben, aber auch mystisch versenkend in Gott, Heiliger beim Gebet, Meditationspraktiken der hinduistischen Fakire und Yogis (2000 vor Christi), spiristischer Tempelschlaf im alten Ägypten (1500 vor Christi), Nabelschau der Mönche. 2. Schamanen-Trance der Naturvölker, darunter die Yanomi-Indianer im Amazonasgebiet, mongolische Nomaden oder ..., die mit Geistern kommunizieren. 3. Hypnotische Trance, bei der sich ein Proband auf die Suggestionen eines Therapeuten einlässt. Anästhetische Narkose ähnliche Heilanwendungen durch Mesmer, James Braid, der 1843 die Methode "Hypnose" nannte, über Charcot, Freud, Bleuler bis zur nicht-direktiven Psychotherapie durch Erik Erickson. Die Bezeichnung "Hypnose" (griechisch hypnos Schlaf) ist nicht ganz korrekt, weil es sich um extrem fokussierte Aufmerksamkeit handelt, alles Unwesentliche wird ausgeblendet. Nicht zerstreut, sondern außerordentlich konzentriert!

Unter Hypnose reagiert das Hirn nicht mehr tatsächliche Reize bewertend über das Frontalhirn, sondern auf die faszinierende Suggestion aus dem Hinterhaupt. Durch hochmoderne Messgeräte wie Positronenemissions- und Magnetresonanztomografen sind Vorgänge im Gehirn in Hypnose registrierbar. Die unter Strom wirkenden Neuronen erzeugen elektromagnetische Felder. Diese schwingen je nach Körperzustand – wach und konzentriert, entspannt oder somnambul (latein. Somnus Schlaf, ambulare herumgehen, schlafwandeln),  unterschiedlich, und das lässt sich messen. Der typische Zustand für Hypnose ist zwischen 3,5 – 13 Hertz indiziert. Ein Gleichgewicht zwischen Alpha-Wellen (kennzeichnend für geistige und körperliche Entspannung) und Theta-Wellen (leichter Schlaf) hat sich eingestellt. Elektromagnetische Felder in einem wachen Hirn hingegen schwingen meist zwischen 13 und 30 Herz (Beta-Wellen).

Die Spannbreite zwischen unbewusster und bewusster Aktivität zeichnet sich ab. Beruhigte physiologische Parameter (Blutdruck, Atem- und Puls-Frequenz gesenkt) bis zur Hypotaxie (gebremste Willkürbewegungen bis Unterwürfigkeit, Gehorsam, Hörigkeit) mit Katalepsie (Gliederstarre), Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit) und Halluzinationen (lebhafte Vorstellungsbilder) sind körperliche und seelische Begleitphänomene von Hypnose.

Hypnose erfordert klinisch-psychologische-medizinische Expertise und ist zudem eine Kunst der Menschenführung. Dennoch kann man keinen Menschen zu einer Handlung anleiten oder schlechterdings verführen, die dessen moralischen Grundüberzeugung (Verbrechen, Selbstverrat) im tiefsten Inneren widerstrebt.

Der Zugang zu emotional verschütteten Erlebnissen, die Angst, Missmut und Blockaden erzeugen, können durch Hypno-Analyse, die hohe Schule der Hypnose, freigesetzt werden. Die Angst vor Kontrollverlust und Manipulation lässt sich mindern, indem sich der Schützling allmählich aus der mentalen Abhängigkeit vom führenden Hypnotiseur befreit und die gewünschten psychischen Stärken selbst hypnotisch herbeiführt. Selbsthypnose setzt tägliches Üben (wie das Zähneputzen) zweimal täglich voraus und ist allmählich je nach Suggestibilität in mindestens sechs Wochen zu erlernen.  
 
Nun sprechen nicht alle Menschen auf autogenes Training und Selbsthypnose an. Wie arbeiten Sie mit den anderen?
 
Durch Bio-Feedback (Rückmeldung über Körperfunktionen) unterstützt durch moderne Technik, z.B. computergestützten "Entspannungsmanager" iSense, lässt sich ermessen, ob man 100%, 80% oder 30% in Form ist und je nachdem Hautwiderstand, Pulsfrequenz, Blutdruck etc. gezielt durch eigenen Willen regulieren. Mit fühlbarer Anspannung und progressiver Entspannung der Muskeln (Faust bilden und lösen) nach Jacobson (1938) lassen sich körperliche Impulse für beschleunigte Erholung, wettkampfstabile Konzentrationsausdauer und geringere Ermüdung setzen. Für das psychologische Aufbau- und Interventions-Training je nach Persönlichkeitstyp generell gelten mindestens sieben folgerichtige Schritte:

Zuerst ist detektivisch nach den Ursachen für bestimmte Auffälligkeiten, Denkblockaden, Leistungsstagnation, Schachmüdigkeit, Zeitnot  und anderen un-bewussten Leistungsressourcen zu fahnden. Gleiche Phänomene können differentielle Ursachen haben. Im Seelenkrimi werden irreführende Gedanken, z.B. "Fixe Ideen", destruktive Selbstgespräche, Furcht vor dem Misserfolg, unvernarbte Kränkungen, Traumata, peinigende Träume, verzerrte Wahrnehmungen, ungünstige Erlebnisverarbeitung, Unsicherheiten, Zeitnöte, Zwänge, Erfolgsdruck, Probleme mit Bezugspersonen wie Trainer, Eltern, Peers aufgedeckt.

In einem zweiten Schritt werden die belastenden Momente, Knotenpunkte der schachlichen Leistungsentwicklung, umstrukturiert, konstruktiv interpretiert, also neu gerahmt. Drittens suchen Sportler/in und Coach nach Modellen für die angestrebte Verhaltensmodifikation. In Betracht kommen Weltklassespieler, ihre bewunderten Partien, aber auch andere erstrebenswerte Vorbilder und Lifestyles. Viertens ist das gewünschte Erleben und Verhalten in thematischen Rollenspielen zu üben.
Fünftens sind die neueren Entwürfe von sich einer Pro- und Kontra-Diskussion auszusetzen, zu "impfen", damit sie auch im Störfeuer des Wettkampfes immun bleiben und den Aktiven nicht erneut zurückwerfen.
Sechstens: Die Sportler vergegenwärtigen sich die Wettkampfsituation, ihre Ziele und mögliche Stolpersteine samt Lärm- und Publikum im Präsens mit allen Sinnen. Hier ist das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) sinnvoll. Durch die sogenannte VAKO-Hypnose (Visuell, Auditiv, Kinästhetisch, Olfaktorisch-gustativ), ideo-motorisches Verankern (ggf. Change mind and keep the Change durch Mind Reimprinting, Change History, Future Pacing und Testen auf Kongruenz) vermögen Aktive sich den realisierbaren Erfolg zu vergegenwärtigen bis sie den Sieg tatsächlich sehen, den Applaus hören, die vorstellbare On-Top-Position vollkommen genießen können.

Der siebente Schritt: In der Turnierpraxis werden die Vorsätze (Affirmationen und Mantras) ausprobiert und indem sich die Sportler bewähren, ihr Kompetenz- und Selbstwertgefühl stabilisiert.

Gibt es weitere Verfahren oder Methoden, die emotionale Ebene eines Schachspielers positiv zu beeinflussen?
 
Ein weiteres Verfahren, durch emotionale Beeinflussung Spielstärke zu fördern, wird durch das Einbeziehen musikalischer Formen genutzt. Mannigfaltig sind die psychischen Impulse, die durch das psychologische Verfahren der Musikrelaxation (Entspannung durch klassische Musik), Gesang, Rhythmus anklingen. Die Musik vermag zu ermutigen, schöpferisch findig zu werden, zu aktivieren und zu beruhigen. Je nach dem ausgewählten Musikstück entsteht eine psychische Balance. Alles stimmt und alles gelingt!

Meditation: fernöstliches Vertiefen führt zu innerer Klarheit und geistiger Frische. Je nach Naturell können Genres der Kunst: Malerei, Schreiben, Musizieren, Schauspielen, Fantasie-Reisen, multi-mediales Entertainment im Internet und World Wide Web kombiniert werden.
Humor-Meditation als inneres Lächeln beim Ausatmen auch unter Stress animiert erheiternde Emotionen. Power-Yoga dient der Erleuchtung. Höhere Wachsamkeitsgrade, etwa das erleuchtende Luzifer-Stadium, Ekstase und Trance, der Gedankenfluss (Flow) zwischen Angst und Langeweile werden eintariert. Diese mentalen Verfahren synchronisieren Emotionen  Körper und Geist zur gesunden Mitte (Energiezentrum). Mit sich nicht un-eins, sondern im reinen Einklang setzt machtvolle Ressourcen frei. Mens sana in corporis sana.

Extrem negative Informationen, zum Beispiel Ängste, Ärger, Enttäuschung, die das Schachspiel begleiten, sind keine sinnlose Störungen, sondern elementar notwendig für eine Neuorganisation der Denk- und Verhaltensvoraussetzungen. Diese Emotionen sprengen den engen Rahmen der Suche und erweitern den Raum bis zum freudigen Aufbruch im "Ah! Ha! Ha! Hurra!" Heureka: "Ich hab’s!”

Arbeiten Sie auch in Ihrem Coaching mit Testverfahren und wenn ja, mit welchen und zu welchem Zweck?

Da vor kurzem erst mit dem Coaching von Kadern der Nationalmannschaften beim Dresdner Lehrgang begonnen wurde, gilt es für den Einsatz spezieller Testmethoden noch grundsätzliche Überlegungen anzustellen. Gleichzeitig ist zu prüfen, inwieweit Zeit und Interesse des Deutschen Schachbundes bzw. der betreffenden Leistungssportler dafür vorhanden sind.
Testverfahren sollen psychisch bedeutsame Dimensionen messen. Sie dienen zur quantitativen Bestimmung des relativen Grades von individuellen Merkmalsausprägungen. Der Aufmerksamkeits-Belastungs-Test d2 von Brickenkamp, der Intelligenz-Struktur-Test (IST) von Amthauer, der Progressive Matrizen-Test zur Diagnostik des schlussfolgernden Denkens und andere wurden bereits bei Spitzenspielern des ehemaligen Deutschen Schachverbandes Ost eingesetzt (vgl. Kauke, M.: Spielintelligenz, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg - Berlin - New York 1992, S. 102). Dabei stellte es sich heraus, dass die leistungsstarken Schachmeister und Schachmeisterinnen durch ihr hohes intellektuelles Leistungsniveau die Testdecke durchbrachen, vor allem im mehrfach geprüften Test ihrer Konzentrationsausdauer.

Für einige schachrelevante Anforderungen, wie den Kampfgeist, taktische und strategische Fähigkeiten, die kompetitive Intelligenz, oder sozionische Komponenten, gibt es meines Wissens noch keine geeichten Testverfahren.
Mit anderen Worten, das Schachspiel mit seinen intellektuellen Anforderungen "testet" die psychischen Stärken und Schwächen mehr als es traditionelle psycho-diagnostische Verfahren vermögen. Deshalb ziehe ich die herkömmlichen Verfahren nur selten  heran und setze auf moderne computergestützte Psychodiagnostik der Zukunft.    

Darf ich einige konkrete Beispiele ansprechen, die beinahe jeder Schachspieler kennt?
 
Gerne.
 
Spieler kennen den sogenannten "Angstgegner". Der Angstgegner spielt oft schwächer oder allenfalls gleichstark und trotzdem verliert man gegen ihn regelmäßig Partie um Partie. Wie würden Sie hier ansetzen?
 
Die Vorbereitung auf Gegner, auch auf solche, die scheinbar nicht zu fürchten sind,  ist ein anerkanntes schachpsychologisches Thema. Dabei geht es nicht primär um verblüffende Coups, den Widerpart zu täuschen, zu beinträchtigen, zu verlocken oder zu manipulieren, sondern zunächst um die eigene Störfestigkeit, d.h. die wichtige Eigenschaft der Resilienz. Die eigene Standhaftigkeit ist abzufedern, indem sich Spieler schachspezifisch ausführlich speziell in der Eröffnungsvorbereitung möglichst mit dem Trainer vor der Partie beraten und mit Hilfe des Coaches, der Mannschaftskameraden, Freunde und Fans auf eigene Stärken besinnen und die Schwächen des Gegners checken.

Angst ist ein nützliches Gefühl. Angst schützt vor Gefahren und Leichtsinn, aber sie darf nicht so mächtig werden, dass sie lähmt. Angst aus Scham oder Schuld ("sieben Todsünden" nach Rowson) errichtet psychische Blockaden (Kreativitätskiller). Irrationale Ängste, weil peinlich uneingestandene oder unverarbeitete Kränkungen des Selbstgefühls, der Ehre und persönlichen Würde, hinterlassen biochemisch Narben, selbst Hirngewebe kann zerstört werden. Auffällige Symptome verraten dem Psychocoach ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Verletzlichkeit ist durch systematische Desensibilisierung abzubauen. Eine persönliche Rangreihe der beunruhigensten Situationen (z.B. man hat eine unglaubliche Chance übersehen, spielt planlos, wird durch einen unerwarteten Zug des Gegners böse überrascht bzw. Ruhe, Zuversicht und Einfälle schwinden) wird gekoppelt mit erinnerten Erfolgen imaginär ("So-tun-als-ob" im Pre-Tend-Play) durchgespielt. Der Spieler wird in kleinen Schritten mit immer kritischeren Situationen konfrontiert, wobei jede Stufe so lange geübt wird, bis er sie stress- und angstfrei bewältigt.  Behutsam heißt es, sich mit allen Sinnen auf die schachliche Begegnung mit dem Angstgegner (der zu stark erscheinenden "Autorität"!) einzustellen (VAKO-Hypnose) z.B. selbstmotivierend "Ich bin super (vorbereitet)", so dass man psychisch gepanzert ist.
 
Exemplarisch ist auch der sogenannte "dicke Bock", den jeder Schachspieler schießt. Man lässt einfach eine Figur stehen, übersieht ein Abzugsschach, eine Gabel usw. Mancher Tennissportler schreit seine ganze Wut und Frust aus sich heraus. Ein Schachspieler kann dies während einer Turnierpartie nicht tun. Andere Tennisspieler zerbrechen ihren Schläger oder knallen ihn auf die Erde. Was empfehlen Sie einem Schachspieler, solchen Frust loszuwerden?
 
Glücklicherweise werden im Schach Missgeschicke gewöhnlich nicht mit solch theatralischen Ausbrüchen begleitet. Verlustärger ist unvermeidlich, sofern man hoch bedeutsame eigene Ziele verfehlt und andere oder sich selbst dafür unangemessen anzählt. Für das "Cool down", damit lästige Gefühle abklingen, hilft Blitz-Meditation (z.B. symbolische Verwandlung der Energie in ein Fabel-Tier, schmelzende Schnee-Figur), Yoga-Tiger-Atem mit markigen Tönen bzw. beim Ausatmen Singen von Vokalen oder Silben (die heilige Silbe Ommmm als Klang der Liebe, tiefe Entspannung und Beruhigung bewirkend), Buddha-Lächeln, Tai Chi ("Schattenboxen"), Work-Out (Aufstehen, verkrampfte Muskeln lockern, Schultern straffen und Haupt aufrichten, Napoleon-Geste mimen), nachträgliche Gespräche (in denen man seinen ganzen Frust "mit-teilen" kann – so wird er dividiert und sprichwörtlich kleiner), Herauslösen  überzogener Ich-Beteiligung durch Bagatellisieren, Relativieren (z.B. humorvoll Peinliches als Nonsens ad absurdum führen), selbstwirksam argumentieren (stoisch weise: "Shit happen’s!" "We are all human beings, people”) und Frustrationstoleranz üben. Das Hirn braucht viel Zucker. Deshalb hilft ad hoc manchmal auch ein Stück Schokolade.
Mit Distanz und Übersicht lässt sich kritischer Verstand einschalten (ermutigende Sätze wie: "Aus Schädlichem mache Nützliches!", "In manche gute Situation kommt man nur durch einen Fehler!") bis man mit Humor trotzen kann. Aus Wut wird Mut.

Jeder Spieler kennt Denkblockarten und Konzentrationsschwächen. Man rechnet eine Variante durch. Im Rahmen der Berechnungen wird eine gegnerische Figur geschlagen. Bei weiteren Variantenberechnungen weiß man auf einmal nicht mehr, ist die Figur nun geschlagen oder steht sie noch da? Man fängt wieder von vorne an. Die Pulsfrequenz steigt, man wird nervös, der Kopf wird rot. Gibt es hier gute Tipps?

Das sind deutliche Anzeichen dafür, dass ein Spieler überlastet ist. Das hirnelektrische Optimum, ein mit 8-14 Hz langsamer Theta- oder Alpha-Rhythmus, fehlt. Körper, Verstand und Gemüt, die Mentalität, sind erneut zu regulieren, damit die Energie zurückkehrt. Es hilft, die Augen für einen Moment zu schließen, gemächliche Bewegungen bzw. Rituale imaginär zu vollziehen und suggestiv die aufgeputschten Kreislaufparameter zu senken. Aufmunternd sollte man sich selbst zureden: "Ich bin ganz ruhig." "Mein Kopf wird frei und klar!" "Ich schaffe es."  "Mir fällt etwas ein." "Ich lasse meinem Hirn etwas Zeit." "Auf meinen Verstand ist Verlass!"
Wohl dem es gelingt, sich an gekonnten Spielzügen, vollbrachten Erfolgen und auf ein attraktives Trainingsziel, die Kunst der Varianten-Kalkulation, zu freuen. Spieler, die durch anstrengende Zeitnotphase oder Überkonzentration gestresst sind und dadurch Denkblockaden bzw. Blackouts erleben, sollten: 7 Sekunden lang Luft holen, 7 Sekunden die Luft anhalten und 7 Sekunden lang
ausatmen: "Ommmm!". Durch die veränderte Sauerstoffzufuhr stellt das Gehirn  seine stressbedingte Überaktivität ein. Die Psyche normalisiert sich wieder.  
Auf keinen Fall sollte man sich selbst beschimpfen, demütigen und sabotieren, sondern möglichst das Missgeschick herunterspielen ("Nebensächlich!"), kühn an eine Konterchance glauben und diese Zuversicht in Mimik, Gestik,  Selbstbewusstsein dokumentieren.
 
Wie individuell müssen Sie mit einzelnen Spielern arbeiten? Bleiben wir bei einem Beispiel: Ich habe Angst vor meinem nächsten Gegner, kann nachts nicht schlafen, wälze mich hin und her, überlege, mit welcher Eröffnung ich beginne, spüre ein Drücken im Magen. Nun kann ja eine Ursache sein, dass ich unter mangelndem Selbstbewusstsein leide und dies die Ursache meiner Störung ist. Umgekehrt kann ich auch den Gegner falsch einschätzen. Ich bin also in meiner realitätsbezogenen Wahrnehmungsfähigkeit gestört. Gibt es hier aus Ihrem Fachgebiet unterschiedliche Ansätze, dem sich quälenden Schachspieler zu helfen?
 
Das sind Symptome, die nicht nur im sportlichen Wettkampf, sondern generell bei bedeutsamen Auftritten, Konferenzen, Prüfungen, schauspielerischen Einsätzen und vielen anderen persönlichkeitsrelevanten Aufgaben zu spüren sind. Hinter diesen hochgradigen Erregungen bis zu psychosomatischen Störungen kann sich kreativer Weckalarm verbergen. Schöpferische Persönlichkeiten kennen dieses Bangen, Zittern und Beben will sich ein "Dinosaurier" aus ihrem Schoß erheben. Das ist der Preis für das Genie, die innere Aufregung, das faszinierende Abenteuer!
In enger Zusammenarbeit mit dem verantwortlichen Trainer gilt es  persönlichkeitsstabilisierende Maßnahmen für Spieler (in-dividere unteilbar als Ganzes) zu treffen. Ich denke dabei an Kampfsportarten und schon genannten psychoregulativen Verfahren wie Autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Yoga(nastik), Zen-Meditation, Humor als stressreduzierende Coping-Strategie, Biofeedback, ideomotorisches Training, aufbauende Gespräche, Relaxation und Mobilisierung durch Musik, Naturklänge, Rhythmen, Tai-Chi.
Ein soziales Kompetenztraining ist ratsam. Selbstsicherheits-Training ist für unsichere, risikoscheue (Remis)Spieler, denen noch ein wenig "Bissigkeit" fehlt, sinnvoll. Aggressiven, arroganten (überhebliche), gefühlsstupiden, "emotional analphabetischen" Spielern, die weder die eigenen noch die Gefühle der anderen klug le(ö)sen können, steht Empathie-Training bevor.
Attraktive Ziele und Motivationen müssen sich in die  systemische Lebensplanung der Spieler harmonisch einfügen und mehreren Bedürfnissen genügen. Darum ist auch die individuelle Lebensberatung via "Simplify our life" ein sportpsychologisches Thema.

Geht es dann nicht auch um die sozio-psychische Entwicklung von Trainern, Übungsleitern und anderen Bezugspersonen?

Rationelles schachspezifisches Training mit optimalen Lernmethoden, eindrucksvoller Wissensvermittlung, Gedächtnistraining und effektiver Wissensnutzung, kurz optimales Gehirnjogging in motivierender Gruppenatmosphäre, fällt in die Fachkompetenz des professionellen Schachtrainers. Zwischenmenschliche Konflikte zwischen Koryphäen ("Stars"), permanenter Leistungsdruck und überaktivierte Trainer aus Leidenschaft für das Schach sind normal. Trainer müssen mehr als andere verstehen, nämlich richtig trösten, aufmuntern, tiefgreifend ermutigen (nicht nur das Unvollkommene bemängeln), sondern achtsam und aufrichtig (erst loben, tadeln später, wenn es dann noch nötig ist), stark motivieren (z.B. durch Spaßärgern Entwicklungsreserven aufs Korn nehmen), nicht aus Gedanken reißen, die wurzeln wollen, sondern zu außergewöhnlichen Leistungen inspirieren und führen, Diese verzwickten multidimensionalen Aufgaben setzen außer beträchtlicher Spielerfahrung exzellente pädagogische, soziale und intra-personale Kompetenzen voraus. Erfolgreiche Trainer stellen immer erst eine sichere feste Bindung, gute Beziehung durch vertrauensbildende Maßnahmen und Respekt her, wenn sie mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen arbeiten. Erziehung ist Beziehung! Dafür müssen Trainer  ausgebildet werden und forthin ihre Lizenz erneuern. "Train the trainer"! heißt das Motto. Bei meinen Einsätzen in der pädagogisch-psychologischen Aus- und Weiterbildung von A-, B- und C-Lizenztrainern lernte ich Persönlichkeiten von Format kennen. Einfallsreich und gewitzt fördern sie als Ziehväter die Lust ihrer Schützlinge am schöpferischen Spiel. Kreative Trainer führen mit ungewöhnlichen Methoden, Glaubwürdigkeit und hohem Engagement Spitzen-Talente zum Erfolg. Trainer erfahren durch die psychologische Fortbildung, wie man am besten mit Eltern, Partnern reden, Promotoren überzeugen und ein Netzwerk von hilfreichen Organisationen und Turniermanagement am Leben halten kann.
 
Schach ist Individualsportart, wird aber auch in Mannschaften betrieben. Hier ist Teamgeist gefragt, das Zurückstellen eigener Befindlichkeiten, Verständnis für Besonderheiten des Teamkollegen und Unterordnung unter das Gesamtinteresse der Mannschaft. Wie arbeiten sie hier?
 
Spitzenspieler sind außerordentlich problemsensible, flexible und aufgeschlossene  Menschen, wenn auch ihre kompetitiv-egozentrische Profilierung zeitweise das Miteinander erschwert. Das verwundert, weil doch das harmonische Zusammenspiel der Figuren eine Essenz brillanten Schachkampfes ist.  
Wie schnell Spieler umdenken können und erfassen, was die aktuelle Lage fordert, konnte ich durch  mathematisch-spieltheoretische fundierte Experimente ermessen. Die neue partnerschaftliche Grundlagen-Methodik ist in meinem Buch "Kooperative Intelligenz - Sozialpsychologische und spielexperimentelle Grundlagen der Interaktivität zwischen Partnern", Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 1996 beschrieben.
Erstaunlich rasch erfassen Aktive (nach einem oder zwei Fehlschlägen) die kooperativen Anforderungen in partnerschaftlichen Spielen ("Teamlogik") und richteten ihr Verhalten vernünftig aus. Zur Verhaltenskorrektur genügt manchmal ein kleiner Wink, wo Nichtspieler sich vielleicht lange gekränkt fühlen würden und nicht einsehen wollen, überhaupt etwas falsch gemacht zu haben. Mit psychoanalytisch bekannten Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Projektion, Verdrängung scheuen sie, sich klüger zu verhalten.
Sinnvoll wären problemnahe Szenarien mit verteilten Rollen, so wie sie häufig in der Spiel- und Trainingspraxis vorkommen. Im Rollentausch versetzen sich die Aktiven in die Lage des anderen und spielen sie durch. Per videografierter Supervision und Gruppendiskussion können Spieler ihr zwischenmenschliches Verhalten mit den kritischen Momenten überdenken und mannschaftsdienliches Verhalten üben: Im Team einander aufbauen statt abbauen! Ein Anfang der Supervision von Rollenspielen wurde bei der letzten Weiterbildung von A-Lizenztrainern an der FIDE-Trainerakademie Berlin im pädagogischen Szenarium mit den Akteuren Jörg Pachow (als Trainer) und Bernd Rosen (als störrischer junger Spieler) gemacht.
Psychologen helfen, wenn Aktive sich nicht vertragen, nur im Training gut sind und im Wettkampf versagen ("Aussetzer", mangelnder Kampfgeist oder fehlende Zweikampfhärte). Auch zwischenmenschlich gilt es mental optimal vorzubereiten.
Eine Psycho-Coachess verfolgt das Mannschaftsleben, erkennt schwelende Konflikte und ihre Lösungsmöglichkeiten, gibt Tipps und Hinweise, hilft Spannungen abzubauen, das Gemeinschaftsgefühl der Zugehörigkeit, Verbundenheit, paritätischen Geltung, Anerkennung, Verantwortlichkeit, und die mannschaftliche Geschlossenheit wieder herzustellen. Zum zukunftsweisenden Gebiet der Sozionik, einer computersimulativen Diagnostik  von Persönlichkeitstypen und ihrer Verträglichkeit, hat  Großmeister Graf informative Impulse gegeben. Aus sozialpsychologischer Sicht wird dieser soziale Prozess moderiert und begleitet, damit das Team wachsen kann. Sie unterstützt damit den Trainer in seiner pädagogisch-psychologischen Einflussnahme.
Ehrenvolle Spitznamen, Maskottchen, Rituale, magische Zeremonien, gemeinsame Erlebnisse und Feiern der Erfolge mit Stolz für das gemeinsam Erreichte fördern Vertrauen und Geborgenheit, Einmütigkeit und kooperative Wettkampfwirksamkeit des Teams.
 
Schachspieler gelten ja im Allgemeinen als Individualisten, etwas sonderlich und selbstbezogen. Sind dies Vorurteile oder muss die Sportpsychologie bzw. der Sozialpsychologe hier erst einmal sozialverträgliche Verhaltenstherapie anwenden?
 
Persönlichkeit muss sich konzentrieren! Ausnahmetalente müssen daher fähig sein, ihren schöpferischen Freiraum dafür selbst zu organisieren. Wie alle Kreativen, ob Künstler, Wissenschaftler oder Ingeniere (Computerfreaks, Tüftler und Avantgardisten) durchleben Spitzenspieler hochgradige emotionale, psycho-nervale Anspannungen beim Gebären neuer Ideen. Dieses Chaos im Kopf bringt die ganze Persönlichkeit durcheinander. Selbstzweifel regen sich, ob man den ungewöhnlich hohen Ansprüchen genügen kann ("Ob ich das schaffe?") und von seiner Umwelt verstanden werden wird. Originelle Neuerer, auch solche die z.B. im zwischenmenschlichen Verhalten einander kompromisslos den Spiegel vorhalten, haben zwangsläufig mit dem Widerstand der traditionellen Vorstellungen (Trägheit, Veränderungsscheu, Stupidität) zu rechnen. Moralische Überflieger müssen vorbereitet sein, verkannt und belächelt zu werden.
Durch ihren Kampfgeist und ihre Expertise im klugen Kämpfen sind Schachspieler im Vorteil, sobald sie ihre Verhaltensmuster vom Schachbrett auf die speziellen Kämpfe im Lebensalltag situationsangemessen transferieren. Die Stärke hochleistungsfähiger Schachspieler und Trainer in ihrer Persönlichkeit, Unkonventionalität, Unabhängigkeit, Fähigkeit produktive Einsamkeit auszuhalten, immer wieder aufs Neue problembesessen ("Wir wollen es wirklich rauskriegen!")
an sich und der Schachkunst zu arbeiten, ihre Loyalität, andere in ihrer Besonderheit gelten zu lassen, zählt als hohe Lebenskunst. Ich schätze und achte als Wissenschaftlerin die Schachspieler als meine Geistesgefährten.

Eine letzte Frage Frau Dr. Kauke: Wie könnten Sie aus psychologischer Sicht einen langfristigen Leistungsaufbau favorisieren, damit sich die deutschen Nationalteams unter der gewachsenen spielstarken Konkurrenz beweisen?

Hier ist eine Antwort sicher nicht in wenigen Worten zu geben. Meines Erachtens müssen mehrere unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden.
Erstens gilt es vor allem in Deutschland ein schachfreundliches Klima zu schaffen, so wie in den Ländern, die uns leistungsmäßig voraus sind. Beispielsweise hat der Slogan "Schach ist Gymnastik des Verstandes" als Ausdruck einer eminenten kulturellen Wertschätzung, der russischen Schachentwicklung mit ihren vielen Weltmeistertiteln in der Nachkriegszeit, in hohem Maße geholfen. Dem Schachspiel und seinen Spielern wurde ein beachtenswerter Stellenwert im gesellschaftlich-öffentlichen Leben eingeräumt! Eine allseitige Förderung war aufgrund der allgemeinen Hochachtung für das Spiel die unausbleibliche Folge.
So wäre es zweitens erstrebenswert, wenn breite Bevölkerungskreise mit dem Spiel vertraut gemacht werden. Da es immer schwieriger wird Erwachsene zu gewinnen, kann dies nur erreicht werden, wenn flächendeckend in Kindergärten, Schulen und Ganztagseinrichtungen Schach als Beschäftigung angeboten wird.
Die dem Schachspiel innewohnenden erzieherisch-bildenden Werte von seinen konzentrativen Eigenschaften, Entwicklung des räumlichen Denkens bis zu problemlösenden Fähigkeiten versetzen uns drittens in die Lage, am erzieherischen und geistigen Fortschritt der Heranwachsenden wirksamen Anteil zu leisten. Denken wir nur daran, was diese in spielerischer Form frühzeitig antrainierten Fähigkeiten für die intellektuelle Entwicklung von Vorschul- und Schulkindern hinsichtlich der OECD-Studie PISA zu bewirken vermag.
Viertens reicht die Bedeutung des Schachs weit über die anerkannten Prozesse des logischen Denkens und der Problemlösefähigkeiten hinaus. Verlieren und Siegen zu lernen, sich mit realistischem Anspruchsniveau erneut energisch den Widrigkeiten zu stellen, darauf kommt es an. Resilienz heißt das magische Wort: unbezwinglicher Widerstandswillen, unbedingter Siegeswillen!
Das ist nicht nur im Leistungsschach, sondern auf allen Frontgebieten den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens eine conditio sine qua non.
Notwendig ist es für die "Diplomaten" im Großmeister-Format, nicht nur als Spezialisten zu brillieren, sondern die erziehungs- und bildungsfördernden Werte des Schachs für Heranwachsende und lebenslanges Lernen fundiert zu propagieren. Es ist außerordentlich kontraproduktiv, wenn sie Journalisten im Interview nur wenig Aussagekräftiges über die Bedeutung des Schachs zu sagen haben und kaum Begeisterung und Enthusiasmus zeigen.
Insofern betrachte ich es als meine Aufgabe, den Spitzenspielern pro-schachliche Argumente psychagogisch nahe zu bringen, damit sie es nicht nur wert finden, sich beim Schach noch mehr nerval zu schinden, sondern "Gens una sumus" die "olympische Flamme" auch in der Öffentlichkeit entzünden.
Fünftens wäre es hilfreich, wenn die Medien aufhörten, das Schachspiel überwiegend spöttisch vom negativ Sensationellen aus zu belichten. Während Erfolgsmeldungen, wie der zweite Platz bei der Schacholympiade in Istanbul (bei 129 Teams) in den Presseorganen nur als Kurzmitteilung oder gar nicht zu finden war, werden auffallende Besonderheiten von Schachspielern mit Häme beschrieben. Vielmehr sollte an die guten deutschen Traditionen verbürgt durch den in der Geschichte zähesten Schachweltmeister, produktiven Mathematiker und Philosophen, Dr. Emanuel Lasker, um dessen kulturelles Erbe sich heute die Lasker-Gesellschaft verdient macht, angeknüpft werden. Der ideale Kämpfer, "Macheide" (latein machee: Kampf), generalisiert Züge einflussreicher Medienstars und bedeutet eine kühne Werbung für Schach.       
Schließlich ein sechster Gedanke. Ein langfristiger Leistungsaufbau kann nur über eine intensive anhaltende Nachwuchsförderung geschehen. So gilt es, langfristig Talente zu erkennen und ihnen über den Rahmentrainingsplan hinausgehend alle Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Zeitweise müsste eine Änderung ihrer persönlichen Lebensweiseform durch volle Zuwendung auf die leistungssportliche Entwicklung erwogen werden. Das erweist sich aber nur als sinnvoll, wenn junge talentierte Spieler frühzeitig in der Lage sind, schon hart zu trainieren und machen schönen Dingen des normalen Lebens zu entsagen (klassisches Idealbeispiel: das Polgarexperiment). Neben zeitaufwendigen Wettkämpfen schließt das vor allem Formen des freiwilligen häuslichen Selbststudiums bzw. Selbsttrainings ein. Und das alles sollte ohne äußeren Zwang und Drill durch Eltern oder Trainern erfolgen! Darüber hinaus tragen Ausbildungsformen wie Grundschul-Sportklassen mit Internatsanschluss, Sportbetonte Schulen, Sportgymnasien und Sportinternate ähnlich den früheren Einrichtungen der östlichen Kinder- und Jugendsportschulen hohe Bedeutung.
Ein guter Schritt in diese Richtung dürfte das Prinzip der punktuellen DSB-Sonderförderung sowie die motivationsfördernde Aufstellung von sogenannten B-Nationalmannschaften männlich und weiblich mit den jüngsten Talenten hinsichtlich der Olympiade 2008 im eigenem Lande sein.

Das Gespräch mit Frau Dr. Kauke führte Ernst Bedau
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Veröffentlicht von Klaus-Jörg Lais



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