von Frank Büter
Nachdruck aus Weser-Kurier, 15.03.2009, S.30 (Regionalsport)
| Der Bremer Uwe Staroske ist Kapitän und Spieler der deutschen Fernschach-Nationalmannschaft |
Bremen. "Sie haben Email erhalten." Wenn Uwe Staroske an seinem heimischen Computer diese Information bekommt, steigt sein Puls. In gespannter Erwartung öffnet er dann sein elektronisches Postfach und hofft auf eine Nachricht seiner Gegenspieler, die ihm einen neuen Zug mitteilen. Uwe Staroske ist Fernschachspieler. Seit mehr als 25 Jahren spielt der promovierte Volkswirt gegen Kontrahenten aus der ganzen Welt. Inzwischen hat er es zum Internationalen Meister (IM) gebracht – und er ist aktuell Kapitän der deutschen Fernschach-Nationalmannschaft, die an der Europameisterschaft teilnimmt.
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Frank Büter |
Turm nach B1: Diesen Zug wird Uwe Staroske als nächstes ausführen. Es ist sein neunter Zug in der EM-Partie gegen den Kroaten Drazen Bajt. Der Internationale Meister aus Bremen ist Kapitän der deutschen Fernschach-Nationalmannschaft und spielt selbst an Brett acht. | |
Kapitän und auch Spieler. An Brett acht ist Uwe Staroske gemeldet. Die Eingruppierung erfolgt entsprechend der Elo-Zahl, einem Wertungssystem, das Auskunft über die Spielstärke der einzelnen Akteure gibt. "Das Kapitänsamt ist eine große Ehre für mich", sagt Staroske. Er kümmert sich um organisatorische Fragen, sorgt innerhalb seines Teams für einen reibungslosen Ablauf und hält den Kontakt zum Turnierdirektor sowie zu den Mannschaftsführern der Vorrundengegner, deren zehn an der Zahl.
Uwe Staroske hat nun allerdings nicht zehn Schachbretter auf seinem Schreibtisch stehen, auf denen er – um den Überblick zu wahren – die parallel laufenden Begegnungen einzeln nachstellt. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute spielt man im WorldWideWeb auf einem Server ( www.iccf-webchess.com). Dort ruft man die jeweilige Partie auf, gibt seinen Zug ein, bestätigt – und wartet wieder auf Email, die automatisch versendet wird, sobald jemand aktiv war.
Als Uwe Staroske am 1. März 1982 seine erste Fernschachpartie eröffnete, war das gänzlich anders. Damals wurden die einzelnen Züge noch auf dem Postweg verschickt, "und das konnte mitunter drei bis vier Wochen dauern, bis die Karte beim Empfänger war", sagt der 42-Jährige. "Vor allem dann, wenn der Gegner aus dem Ostblock kam." Um den Postweg zu verkürzen, hat er seinerzeit die Adresse in kyrillischer Schrift notiert, "das hat das Ganze zumindest etwas beschleunigt". Schneller wurde die Zugübermittlung dann mit Hilfe von Faxgeräten, die wiederum wurden von Email abgelöst.
"Die längste Partie, die ich unter Postbedingungen gespielt habe, hat viereinhalb Jahre gedauert", sagt Staroske. Eine Partie bei einem Turnier der Meisterklasse, die ihm auch deshalb so gut in Erinnerung ist, "weil sie von 1989 bis 1994 mein Studium begleitet hat", schmunzelt der gebürtige Findorffer – und fügt nach einer kurzen Atempause an: "In dem Turnier ging es eigentlich um nichts mehr, aber es war ein erhebendes Gefühl, als ich am Ende gegen den Amerikaner Harabor gewonnen hatte."
Viereinhalb Jahre für eine einzige Partie Schach sind im Zeitalter von Internet und Server undenkbar geworden. Heute dauern die Begegnungen rund ein Jahr, wobei die Bedenkzeit für die Spieler auf 50 Tage für zehn Züge begrenzt ist. Beantwortet man einen Zug binnen 24 Stunden, so wird das Tagekonto nicht belastet, ansonsten läuft die Uhr und belastet das Guthaben. "Züge, die klar sind, müssen sofort raus", lautet deshalb die Devise von Uwe Staroske. "Das Zeitmanagement ist sehr wichtig. Die Fristen der Gegner müssen laufen, nicht die eigenen." Das ist auch der Grund, warum ihn abends der erste Weg zumeist an den PC führt. "Ich gucke jeden Tag, ob neue Züge eingegangen sind", sagt der mit Frau und zwei Kindern in Schönebeck heimische Staroske. Oft reicht ihm dabei schon ein Blick auf den Absender, um gedanklich gleich im Spiel zu sein. Die Partien und einzelne Stellungen hat er im Kopf, ein Bild des Gegners indes nicht. "In der Regel kennt man sich nicht persönlich", schildert der 42-Jährige. Und während man früher per Postkarte noch ein paar Worte ausgetauscht habe, sei Fernschach jetzt "eine schweigsame Angelegenheit" geworden.
Für Uwe Staroske jedoch eine Angelegenheit, die auf ihn einen ganz besonderen Reiz ausübt. In einem Klubheim zu sitzen, dem Kontrahenten von Angesicht zu Angesicht gegenüber, ist nicht wirklich seine Sache. "Am Brett zu spielen ist ja schön und gut, aber da tickt die Uhr erbarmungslos runter. Ich habe dann oft gute Ideen, schaffe es aber nicht, die Züge in der kurzen Zeit aufs Brett zu bringen", sagt Staroske, der dennoch seit seiner Kindheit auch regelmäßig Nahschach spielt.
Mit zehn Jahren hat er in der Schrankwand ein Schachbuch seines Vaters entdeckt, hat sich eingelesen und sich das Schachspielen selbst beigebracht. Mit zwölf Jahren ist er den Findorffer Schachfreunden beigetreten und war zuletzt neun Jahre für die Bremer Schachgesellschaft am Osterdeich im Einsatz. In der vierten Mannschaft in der Stadtliga, "und das auch nur als Ersatz", so Uwe Staroske. Seit Jahresbeginn ist er wieder bei seinem Heimatverein in Findorff gemeldet, zur neuen Saison wird er dort voraussichtlich in der zweiten Mannschaft ans Brett gehen.
"Im Nahschach habe ich keine Erfolge feiern können, aber wichtige Erkenntnisse gewonnen", sagt Uwe Staroske. Zum Vergleich: Seine Deutsche Wertungszahl (DWZ) als Nahschachspieler liegt bei 1632, seine Elo-Zahl als Fernschachspieler bei 2442. Nicht nur aufgrund des Zeitfaktors sind für ihn Nah- und Fernschach zwei völlig verschiedene Disziplinen. "Fernschach ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Schach", sagt Staroske. "Die Tiefe und Breite der Analyse ist eine ganz andere, das Niveau ist viel höher."
Letzteres auch, weil der Einsatz von Hilfsmitteln wie Schachprogrammen und Datenbanken nicht nur erlaubt, sondern ein Teil des Wettkampfes ist. "Rechner haben schon zur Qualitätssteigerung beigetragen, trotzdem sollte man wissen, bei welchen strategischen Stellungen es sich lohnt, darauf zurückzugreifen. Es ist wichtig, ein eigenes Schema zu entwickeln", erklärt Staroske und ergänzt: "Ich spiele nicht den Postboten für meinen Rechner."
Aber er spielt – und zwar sehr viel. Insgesamt 23 Partien hat der Internationale Meister zurzeit am Laufen. Darunter zehn im Rahmen der gerade begonnenen Mannschafts- Europameisterschaft, darunter aber auch drei im Rahmen des Jubiläumsturniers des Weltverbandes ICCF, das anlässlich des 50-jährigen Bestehens im Jahr 2001 eröffnet wurde und sich jetzt in der Finalrunde befindet. "Damit hat man gut zu tun", schmunzelt Uwe Staroske. Was aber gut leistbar sei, "weil sich die Partien in unterschiedlichen Phasen befinden".
Heikel wird es dann, wenn die Begegnungen ins Endspiel gehen, "so etwas beschäftigt mich dann auch nachts", sagt Staroske. Als Ausgleich betreibt er intensiv Yoga, ein Hobby, das er mit seiner Frau Edda teilt. "Sie hat großes Verständnis für meine Schachleidenschaft und kennt auch die Regeln, spielt aber selbst nicht", sagt Uwe Staroske. Für Yoga begeistern sich indes beide, Staroske selbst leitet hin und wieder sogar Kurse oder hält Vorträge. "Yoga entspannt Körper und Geist, da kommt man richtig zur Ruhe." Eine innere Ruhe, die dann gestört wird, wenn es heißt: "Sie haben Email erhalten."
| Stichwort: Fernschach |
Bei der Ende Februar gestarteten 8. Mannschafts-Europameisterschaft, die der Weltfernschachbund ICCF austrägt, sind insgesamt 31 Teams an den Start gegangen. In drei Gruppen werden die zehn Finalisten ermittelt. Das deutsche Team trifft in einer Elfer-Gruppe auf Kroatien, Türkei, Rumänien, Belgien, Ukraine, Portugal, Slowenien, Estland, Lettland und die Niederlande, so dass an jedem der acht Bretter von jedem Spieler parallel zehn Partien absolviert werden. Dabei zählt jeder einzelne Brettpunkt, die drei in der Addition der Punkte besten Mannschaften jeder Gruppe erreichen das Finale. Mit einem Elo-Schnitt von 2494 zählt die deutsche Mannschaft dabei zum Favoritenkreis. Im Weltverband ICCF sind etwa 10000 Fernschachspieler organisiert, rund 3000 davon kommen aus Deutschland. Drei Mal hat die deutsche Nationalmannschaft bereits den EM-Titel gewonnen und triumphierte zudem schon vier Mal bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft, der so genannten Fernschach-Olympiade. Auch bei Einzelwettbewerben fällt die deutsche Bilanz mit zwei Welt- und 16 Europameistern sowie fünf Weltpokalsiegern sehr positiv aus. Erster Europameister war übrigens der in Bremen heimische Senior Master Dr. Werner Stern. Ebenfalls "Verdienter Internationaler Meister" (SIM) ist der Bremer Detlef Buse, mit dem Titel "Internationaler Meister" (IM) dürfen sich die Hansestädter Wolfgang Bauer, Michael Bock, Hanno Keller und Uwe Staroske schmücken.
Weitere Informationen zum Deutschen Fernschachbund gibt es im Internet unter www.bdf-fernschachbund.de.
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